Mittwoch, 24. November 2021

Das verpasste Weihnachten

 

»Wach auf, du Faulpelz«, sagte eine ärgerliche Stimme und Balduin fühlte gleichzeitig eine Hand, die an seiner Schulter rüttelte. »Dieses Jahr verschläfst du nicht wieder die gesamten Vorbereitungen zum Weihnachtsfest. Raus mit dir aus den Federn!«
»Ach, lass mich«, grummelte der so geweckte Engel mürrisch. »Es ist doch noch so viel Zeit.« Dabei öffnete er langsam seine Augen, um zu schauen, wer ihn aus seinem, wie er fand, wohlverdienten Schlaf riss. 
Vor Balduin stand das Christkind und funkelte ihn zornig an. 
»Du hast wohl vergessen, dass du dieses Jahr für den Weihnachtsbaum zuständig bist? Willst du dir wirklich den Ärger aller zuziehen? Reicht es nicht, dass deine schutzbefohlenen Kinder immer als Letzte ihre Geschenke erhalten? Das ist doch schon traurig genug. Und du weißt genau, dass die Geschenke erst verteilt werden dürfen, sobald der Baum in voller Pracht blinkt und funkelt.«
Lethargisch blinzelte Balduin in Richtung Kalender. Ah, es war erst Oktober. Noch genügend Zeit für alles. 
»Sei doch nicht so sauer. Es ist noch so lange bis Weihnachten. Ich werde das schon schaffen. Warte, hier, ich stelle mir den Wecker auf den ersten Advent. Vier Wochen reichen völlig aus.«
Bevor das Christkind etwas erwidern konnte, hatte Balduin auch schon wieder die Decke über den Kopf gezogen und schnarchte. 
Der Wecker klingelte. Balduin hob ein Augenlid, blinzelte zu dem Störenfried und entschied für sich, dass drei Wochen auch ausreichen. 
Der nächste Weckruf zeigte dann allerdings den vierten Advent. Balduin wollte gerade wieder auf Snooze drücken, als seine Augen wahrnahmen, um ihn herum standen etliche Engel und das Christkind. 
»Das wagst du nicht«, zischte ihn ein Engel, der Stimme nach Raphael, an.  »Alle warten auf dich. Du bist dieses Jahr dran, den Weihnachtsbaum zu schmücken. Ohne ihn kein Weihnachtsfest für unsere Kinder.«
»Genau. Steh’ endlich auf, du hast nur noch zwei Tage Zeit.«
Das Grummeln im Hintergrund war alles andere als freundlich. Zwei Tage für den Baum. Balduin wurde es mulmig. Das würde er nie schaffen. Warum nur war er immer so müde. 
So schnell wie nie zuvor sprang er von seiner Schlafwolke. Mit einem Grinsen im Gesicht, nach dem ihm eigentlich gar nicht zumute war, blickte er zu der Menge, die ihn umgab. »Der Weihnachtsbaum ist so gut wie geschmückt. Das erledige ich im Handumdrehen.« 
Dieser Baum war so groß, dass der zuständige Engel für gewöhnlich mindestens eine Woche benötigte. Je nach Aufwand und Zierrat. Das Material musste er sich selbst besorgen, Hilfe oder gar ein Lager mit altem Schmuck gab es nicht. Balduin wusste zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht, wie er ihn bestücken wollte. Dafür blieb keine Zeit. 
Unten bei den Menschen gab es vielerlei. Überall, wo etwas blinkte und glitzerte, schob er es in seinen großen Sack. Diese Ausbeute entpuppte sich allerdings als Müll. Elektroplatinen, alte LEDs, Metallspäne, Plastik. Zum erneuten Suchen existierte keine Zeit, sodass Balduin das Grün des Baumes damit schmückte. 
Die Uhr lief weiter und er war noch nicht fertig, als er plötzlich von allen Engeln und einem sehr traurig dreinblickenden Christkind umrundet war. 
»Du bist zu langsam. Heiligabend ist in einer Stunde vorbei. Auf der ganzen Erde sind die Kinder am Weinen.«
Balduin wuchs über sich hinaus. Mit einer ihm unbekannten Geschwindigkeit verteilte er den restlichen Fund am Baum und steckte das Licht an. Bunte Lichter leuchteten, mal hell, mal dunkler, auch blinkend. 
Ein Blick auf die Uhr verriet, er hatte es verpasst. Drei Minuten nach Heiligabend. Die Engel starrten ihn zornig an. 
»Tut mir leid, sehr leid. Ich habe Weihnachten kaputt gemacht.« 
Balduin drehte sich um. Seine ersten Schritte entfernten ihn von dem Baum und den anderen. Sein Herz wog plötzlich sehr schwer. Er war schuld, dass es in diesem Jahr kein Weihnachten gab. Das würde ihm niemand verzeihen.
»Alles ist gut, Balduin«, sagte da die sanfte Stimme des Christkindes zu ihm. »Es ist noch genügend Zeit. Da wir dich kennen, haben wir deinen Wecker manipuliert.«
Balduin schüttelte den Kopf. Bis sich die Aussage in seinem Kopf manifestierte. Er wusste nicht, ob er jetzt sauer sein sollte oder glücklich. 
»Danke«, mit einem glückseligen Lächeln im Gesicht drehte Balduin sich um. »Ich liebe euch dafür. Frohe Weihnachten. Lasst uns die Geschenke verteilen und die Kinder glücklich machen. Vor allem mit Freude im Herzen, wie ihr sie mir gerade geschenkt habt.«

Diese Kurzgeschichte, geschrieben 2015, veröffentlicht seinerzeit im Elvea-Magazin, darf 2021 den Adventskalender bestücken. Dort könnt ihr auch weitere Adventstürchen nachlesen: www.autoren-adventskalender.de

Freitag, 26. Oktober 2018

Peter Dumat: Das Labyrinth des Narren

Klappentext: Was würde passieren, wenn deine inneren Anteile sich plötzlich verselbstständigen würden? Was, wenn sie plötzlich zu realen Personen in deinem Leben mutierten?

Ole, einem viel beschäftigten Familienvater, der sich in den gehetzten Wirren seines Alltags verfangen hat und der unter dem abgestumpften Glanz seiner Ehe leidet, passiert bei einem Urlaubsausflug genau das: Als er allein zu einer verfallenen Burgruine im Voralpenland gelangt, wird er von dem mysteriösen Ort verschluckt und in die Tiefen des Berges gezogen.

So gelangt Ole in ein unterirdisches Pendant zur Oberfläche, dessen düstere und von Tristesse erfüllte Aura der seiner eigenen Gefühlswelt gleicht. Wie ein Narr irrt er herum und begegnet seinen personifizierten Zweifeln und Ängsten, die versuchen, ihn in einem labyrinthischen Spießrutenlauf vorzuführen und zu behindern. Hilfe kann er nur von der Besinnung auf seine verschüttete Fantasie und die Kraft der Liebe zu seinen Nächsten erwarten. Ein gefährlicher Kampf beginnt, in dessen Verlauf Ole herausfinden muss, was ihm leichter fällt: der Tod oder das Leben.


Meine Bewertung:

Keine triviale Geschichte und ebenso nicht leicht zu lesen. Also nicht die Lektüre, die man nach der Arbeit gerade einmal so herunterliest, auch wenn sie so beginnt.
Das Buch ist virtuos geschrieben, vielfältig in der Wortwahl, tiefgründig im Sinn. Dem Leser begegnet die Vergangenheit des Protagonisten auf eine Art und Weise, wie man es (zumindest war es bei mir so) noch nicht erlebt hat. Psychologisch faszinierend formuliert. Dabei ist alles so geschrieben, dass das Kopfkino mitläuft, Bilder erzeugt und teilweise erschreckend real rüberkommt, wenn man bewusst liest.
Den Inhalt kann man nicht wiedergeben, ohne dass man Gefahr läuft, zu spoilern, von daher sollte man sich mit dem Klappentext begnügen, der schon sehr viel aussagt und der Inhalt dann doch anders wird, als ich mir das dachte. Einfach überraschen lassen.

Mittwoch, 19. September 2018

Michael J. Unge: Rabenmacht

Klappentext:

 Als Samuel an seinem zwanzigsten Geburtstag entdeckt, dass er magische Kräfte besitzt, ahnt er nicht, dass der uralte Hexer Nõid sich diesen Tag sehnsüchtig herbeigeseht hat. Er muss Samuel mithilfe seiner Rabenschar dazu bringen, einen anderen Menschen zu töten. Nur dann wird der jahrhunderte alte Fluch, der ihn gefangen hält, brechen. Wieviel Böses steckt in jedem und wie bringt man es an die Oberfläche? Die beiden Männer steigen in ein riskantes Spiel mit dem Feuer ein, in dem Wut, Hass und Liebe stets die Richtung bestimmen. Wird es Nõid gelingen, sein eigen Fleisch und Blut für seine Rache zu gewinnen oder verspielt er den letzten Trumpf und entfesselt eine totbringende Gefahr?


Ungewöhnliche Story, die mir gefallen hat. Samuel verändert unfreiwillig sein Wesen, obwohl er sich treu bleibt. Klingt kontrovers, macht aber Sinn. Die Macht, die Magie seines Vorfahren setzt die dunkle Seite in ihm frei. Eine Seite, die nicht zu ihm gehört. Und Freunde, die zu ihm halten, machen die Geschichte lesenswert. Ohne diese, alte wie neue, gäbe es kein Happy End.
Leichter Stil, gut zu lesen, wenn auch manche Satzstellungen etwas trivial bzw. umgangssprachlich wirken. Gegen Ende hin häufen sich in meiner Version, kleine Flüchtigkeitsfehler.

Wer gerne mystische Geschichten liest, gepaart mit einer Gayromanze, dem könnte das Buch Vergnügen bereiten. Das Cover ist toll und außergewöhnlich.

Donnerstag, 6. September 2018

Marco Harnisch Michael J. Unge: Der Fall der Maske

Klappentext:
„Ich glaube nicht an Geister!“ Als Lukas ein sagenumwobenes Haus erwirbt und sich unerklärliche Phänomene häufen, beginnt seine Überzeugung zu bröckeln. Mit Hilfe seines sexy Macho-Nachbarn Mike begibt er sich auf die Suche nach Antworten. Gemeinsam enthüllen sie die Geheimnisse des maskierten Geistes und geraten in Lebensgefahr, als sich angestaute Liebe und Wut aus über achtzig Jahren entfesseln. Ein Romanautor und ein Privatdetektiv finden sich in einem homoerotischen Mystery-Abenteuer mit schauriger Atmosphäre wieder, in dem flotte Sprüche, Blut und Angstschweiß gleichermaßen fließen.

Eigene Meinung:
Horror und Liebe (Gay)
gut in einem Roman vereint. Spannend geschrieben, an einigen Stellen sehr gruselig und an anderen sehr verliebt und zärtlich. Eine gute Mischung, die so nicht unbedingt häufig vorkommt. Die Dialoge harmonisch und schlüssig.
Mir war das Ende zu schnell, es fehlte noch ein wenig mehr Action, Auflösung des Warums. Es lief zu glatt und und alles war gut. Da hätte ich mir mehr gewünscht. Und manchmal macht der auktoriale Erzähler Sprünge von einem zum nächsten Protagonisten, ohne dass es wirklich abgegrenzt wurde. Was mich jetzt nicht wirklich störte, aber eben auffiel.
Die Gay-Liebesgeschichte bindet sich passend in den Gruselteil ein. Sie wirkt schlüssig aufgebaut und auch konform.
Auf jeden Fall lesenwert, wenn man beide Genre vereint lesen will.

Mittwoch, 29. August 2018

Juliane Sophie Kayser: Das Sandwichkind


Rezension meiner Tochter, die das Buch unbedingt lesen wollte als Sandwichkind: 

„Das Sandwichkind“ ist ein Kinderkrimi von Juliane Sophie Kayser und im Tomorrow’s Classic Verlag 2018 erschienen
Die Handlung des Buches spielt im 21. Jahrhundert in Göttingen. Der zehnjährige Paule hat einen kleinen Bruder und eine große Schwester. Als Paule in einem Schuhgeschäft von einer Verkäuferin als Sandwichkind bezeichnet wird, verwandelt er sich kurz darauf auch in eines. Dann wird Paule von einer Familie entführt, welche seine Hilfe braucht, da sie von einem Mafiaboss bedroht wird.
Aufgrund seiner Entführung starten seine Freunde und seine Schwester die Rettungsaktion „Geheimaktion Sandwichkind“. Während Paules Gefangenschaft freundet er sich mit seinen Entführern an und kurz darauf versuchen sie, den Mafiaboss in eine Falle zu locken, was schiefgeht und sie am Ende von ihren Freunden aus den Fängen des Mafiabosses gerettet werden müssen.

Der Begriff „Sandwichkind“ wird am Anfang deutlich erklärt, aber danach geht es nicht mehr wirklich darum, sondern es wird eher zur Seite geschoben und etwas Neues passiert.
Die Emotionen der Protagonisten werden oft als etwas überspitzt/übertrieben dargestellt, aber ebenso teilweise vernachlässigt. Die bildhafte Beschreibung kommt dann zu kurz.
Die Autorin verwendet kurze und die Situation gut darstellende Sätze. Sie verzichtet auf lange Beschreibungen der Umgebung und geht auf die direkte Situation ein. Stilistisch ist der Kinderkrimi dem Sprachstil der Kinder und Jugendlichen der heutigen Zeit angepasst, unbekannte Fremdwörter werden selten verwendet, und falls doch, stehen sie hinten im Glossar erklärt.
Die Handlung ist sehr schlüssig, bis auf die Situation, dass eben Kinder von Jahren einen erwachsenen Mafiaboss in die Falle locken. Auch ist sie gut zu verstehen, allerdings fehlte irgendwie das Warum sich Paule in ein Sandwich verwandelt und alle das als selbstverständlich hinnehmen.
Am Anfang steht alleine Paule im Vordergrund, ab der Entführung wird zwischen ihn und seinen Freunden hin und hergesprungen.
Für die Altersklasse 8-12 ist es ein gut geschriebenes Buch. Und für Krimi- und Detektivfreunde auf jeden Fall sehr zu empfehlen. Die Illustrationen passen sehr gut dazu.
Die Loyalität und der Zusammenhalt der Kinder untereinander werden deutlich gemacht, was auch heute immer wieder ein wichtiges Thema sein sollte.

Mein Fazit: Ein toller Kinderkrimi, der mir Spaß gemacht hat zu lesen, auch wenn ich schon älter (16) bin.