»Wach auf, du Faulpelz«, sagte eine ärgerliche Stimme und Balduin
fühlte gleichzeitig eine Hand, die an seiner Schulter rüttelte. »Dieses
Jahr verschläfst du nicht wieder die gesamten Vorbereitungen zum
Weihnachtsfest. Raus mit dir aus den Federn!«
»Ach, lass
mich«, grummelte der so geweckte Engel mürrisch. »Es ist doch noch so
viel Zeit.« Dabei öffnete er langsam seine Augen, um zu schauen, wer ihn
aus seinem, wie er fand, wohlverdienten Schlaf riss.
Vor Balduin stand das Christkind und funkelte ihn zornig an.
»Du
hast wohl vergessen, dass du dieses Jahr für den Weihnachtsbaum
zuständig bist? Willst du dir wirklich den Ärger aller zuziehen? Reicht
es nicht, dass deine schutzbefohlenen Kinder immer als Letzte ihre
Geschenke erhalten? Das ist doch schon traurig genug. Und du weißt
genau, dass die Geschenke erst verteilt werden dürfen, sobald der Baum
in voller Pracht blinkt und funkelt.«
Lethargisch blinzelte Balduin in Richtung Kalender. Ah, es war erst Oktober. Noch genügend Zeit für alles.
»Sei
doch nicht so sauer. Es ist noch so lange bis Weihnachten. Ich werde
das schon schaffen. Warte, hier, ich stelle mir den Wecker auf den
ersten Advent. Vier Wochen reichen völlig aus.«
Bevor das Christkind etwas erwidern konnte, hatte Balduin auch schon wieder die Decke über den Kopf gezogen und schnarchte.
Der
Wecker klingelte. Balduin hob ein Augenlid, blinzelte zu dem
Störenfried und entschied für sich, dass drei Wochen auch ausreichen.
Der
nächste Weckruf zeigte dann allerdings den vierten Advent. Balduin
wollte gerade wieder auf Snooze drücken, als seine Augen wahrnahmen, um
ihn herum standen etliche Engel und das Christkind.
»Das
wagst du nicht«, zischte ihn ein Engel, der Stimme nach Raphael, an.
»Alle warten auf dich. Du bist dieses Jahr dran, den Weihnachtsbaum zu
schmücken. Ohne ihn kein Weihnachtsfest für unsere Kinder.«
»Genau. Steh’ endlich auf, du hast nur noch zwei Tage Zeit.«
Das
Grummeln im Hintergrund war alles andere als freundlich. Zwei Tage für
den Baum. Balduin wurde es mulmig. Das würde er nie schaffen. Warum nur
war er immer so müde.
So schnell wie nie zuvor sprang er von
seiner Schlafwolke. Mit einem Grinsen im Gesicht, nach dem ihm
eigentlich gar nicht zumute war, blickte er zu der Menge, die ihn umgab.
»Der Weihnachtsbaum ist so gut wie geschmückt. Das erledige ich im
Handumdrehen.«
Dieser Baum war so groß, dass der zuständige
Engel für gewöhnlich mindestens eine Woche benötigte. Je nach Aufwand
und Zierrat. Das Material musste er sich selbst besorgen, Hilfe oder gar
ein Lager mit altem Schmuck gab es nicht. Balduin wusste zu diesem
Zeitpunkt noch gar nicht, wie er ihn bestücken wollte. Dafür blieb keine
Zeit.
Unten bei den Menschen gab es vielerlei. Überall, wo
etwas blinkte und glitzerte, schob er es in seinen großen Sack. Diese
Ausbeute entpuppte sich allerdings als Müll. Elektroplatinen, alte LEDs,
Metallspäne, Plastik. Zum erneuten Suchen existierte keine Zeit, sodass
Balduin das Grün des Baumes damit schmückte.
Die Uhr lief
weiter und er war noch nicht fertig, als er plötzlich von allen Engeln
und einem sehr traurig dreinblickenden Christkind umrundet war.
»Du bist zu langsam. Heiligabend ist in einer Stunde vorbei. Auf der ganzen Erde sind die Kinder am Weinen.«
Balduin
wuchs über sich hinaus. Mit einer ihm unbekannten Geschwindigkeit
verteilte er den restlichen Fund am Baum und steckte das Licht an. Bunte
Lichter leuchteten, mal hell, mal dunkler, auch blinkend.
Ein Blick auf die Uhr verriet, er hatte es verpasst. Drei Minuten nach Heiligabend. Die Engel starrten ihn zornig an.
»Tut mir leid, sehr leid. Ich habe Weihnachten kaputt gemacht.«
Balduin
drehte sich um. Seine ersten Schritte entfernten ihn von dem Baum und
den anderen. Sein Herz wog plötzlich sehr schwer. Er war schuld, dass es
in diesem Jahr kein Weihnachten gab. Das würde ihm niemand verzeihen.
»Alles
ist gut, Balduin«, sagte da die sanfte Stimme des Christkindes zu ihm.
»Es ist noch genügend Zeit. Da wir dich kennen, haben wir deinen Wecker
manipuliert.«
Balduin schüttelte den Kopf. Bis sich die
Aussage in seinem Kopf manifestierte. Er wusste nicht, ob er jetzt sauer
sein sollte oder glücklich.
»Danke«, mit einem glückseligen
Lächeln im Gesicht drehte Balduin sich um. »Ich liebe euch dafür. Frohe
Weihnachten. Lasst uns die Geschenke verteilen und die Kinder glücklich
machen. Vor allem mit Freude im Herzen, wie ihr sie mir gerade geschenkt
habt.«
Diese Kurzgeschichte, geschrieben 2015,
veröffentlicht seinerzeit im Elvea-Magazin, darf 2021 den
Adventskalender bestücken. Dort könnt ihr auch weitere Adventstürchen
nachlesen: www.autoren-adventskalender.de